Die Waldenser – Pioniere der Reformation
Benjamin G. Wilkinson (1872 – 1968)
Prediger, Missionar, Theologie-Dekan, Buchautor
Die Waldenser sind Nachfahren der Flüchtlinge aus Italien, die nach Paulus’ Verkündigung des Evangeliums ihre wunderschöne Heimat verließen und wie die Frau aus der Offenbarung in die wilden Berge flohen, wo sie bis heute das Evangelium in derselben Reinheit und Schlichtheit, wie es von Paulus gepredigt wurde, vom Vater zum Sohn weitergegeben haben. (Arnaud, The Glorious Recovery, xiv)
Die Geschichte der Waldenser begann mit dem Wirken von Petrus Waldus. Er verschaffte dieser Kirche neuen Schwung und gab den Evangelischen [Evangeliumsgläubigen], die sich nicht nach Rom richten wollten, insofern eine neue Waffe in die Hand, als er für volkstümliche Ausgaben des Wortes Gottes in der Landessprache sorgte. Wie es stets der Fall ist, wenn die Bibel unter den Laien verbreitet wird, wurden die Gläubigen vom Missionsgeist erfasst. Das Wachstum und der zunehmende Einfluss der Waldenser auf der ganzen Welt sind mit auf Petrus Waldus zurückzuführen.
Es dauerte allerdings nicht lange, bis er den Zorn des Papsttums zu spüren bekam. Aufgrund von Verfolgung zog er sich nach Nordfrankreich zurück. Als man ihm auch dort nachstellte, floh er nach Böhmen. Nun richtete sich die Wut der Verfolger stattdessen gegen seine Anhänger, und viele von ihnen eilten in die heute als Waldensertäler bekannten Gebiete Italiens.
Es war Gottes Vorsehung, dass Waldus sich in Mittelosteuropa aufhielt und eine große Anzahl seiner Nachfolger in das umgebende Bergland wanderte. Der in vergangenen Jahrhunderten ausgestreute Same der Wahrheit war dabei, zu einer großen Ernte heranzuwachsen. Im 12. Jahrhundert herrschte überall in Europa eine Sehnsucht nach der Art Religion, von der Jesus sprach, als er sagte: „Ihr seid alle Brüder.“ Kirchen mit Pomp und Zeremonien, die eine tiefe Kluft zwischen Priester und Volk errichtet und den Klerus samt Ehrentiteln in die höheren Ränge gehoben hatten, erregten zunehmend Missfallen. Per Gesetz erzwungene Dogmen hatten zu Rebellion geführt. Die Heilige Schrift war inzwischen stärker verbreitet, und man verglich die religiösen Vorschriften der Hierarchie mit den Grundsätzen der Bibel. Zahlreiche Menschen erkannten, dass es ein besseres Christentum gab, frei von kirchlichen Hinzufügungen, und bildeten große Gemeinschaften, die Albigenser, Katharer und Passagini genannt wurden. Die Vielfalt der ihnen verliehenen Bezeichnungen löste sich auf, als sie den allgemeinen Begriff Waldenser annahmen (Benedict, A General History of the Baptist Denomination, 1:112, 448).
Auf der anderen Seite waren die Priester, die sich mit Königen, Generälen und säkularen Amtsträgern verbündet hatten, entschlossen, ihre weltliche Macht zu halten und den Thron absoluter Autorität einzunehmen. Ihre Aggressivität war so unübersehbar, und ihr schroffes, herrisches Auftreten stieß auf so ausgeprägte Ablehnung, dass die Massen Häresie nicht länger als etwas Negatives ansehen konnten. Der Versuch, Leute als Verbrecher abzustempeln, weil sie Glaubensfreiheit lebten, rief zunehmend Unmut hervor. Der Name der Waldenser war mehr und mehr in aller Munde und sollte in Europa zum Synonym des Christentums werden, das Christus und die Apostel im Neuen Testament praktiziert hatten.
Wie furchtbar die Waldenser unter der Verfolgung litten, ist ein bekanntes Kapitel in der Geschichte der Völker. Ihre Festigkeit und ihr Sieg waren nicht weniger als ein Wunder. Ein Großteil der Freiheit, Aufklärung und des Fortschritts der heutigen Zivilisation lässt sich auf die Treue der „Gemeinde in der Wüste“, wie Gottes Volk in Offenbarung 12 beschrieben wird, und vor allem auf die mutigen Waldenser zurückführen, die sich so tapfer und triumphal für die Erhaltung der Prinzipien der Demokratie einsetzten.
Ihre historische Spuren vernichtet
Verfolgung war nicht der einzige Weg, Krieg gegen die Evangelischen zu führen. Ihre historischen Berichte wurden systematisch vernichtet. In den Reichen des Altertums gab sich ein Eroberer oft nicht mit der Auslöschung der bestehenden Dynastie zufrieden, sondern zerstörte auch sämtliche schriftlichen Zeugnisse dieser Zeit. Das ging so weit, dass sogar die Inschriften auf Steindenkmälern weggemeißelt wurden. Auf die gleiche Weise wurde auch die edle und umfangreiche Literatur der Waldenser, sowohl der italienischen als auch der französischen und spanischen Zweige, durch das Wüten des Papsttums beinahe vollständig ausradiert (Gilly, Waldensian Researches, 39; Jones, History of the Christian Church, 2:6; Robinson, Ecclesiastical Researches, 178). Nur Fragmente existieren noch. Will man ihre Geschichte rekonstruieren, muss man vor allem auf die gegen sie verfassten Schmähschriften, die Aufzeichnungen päpstlicher Inquisitoren, die Untersuchungsberichte an Prälaten sowie die Erlasse und Urteilssprüche von Kaisern, päpstlichen Konzilen und der Inquisition zurückgreifen.
Von den Waldensern lernen
Die Prediger und Lehrer der Waldenser waren gut ausgebildet. Zur Widerlegung der Vorwürfe, die ihnen zuweilen gemacht werden, seien die folgenden Zitate angeführt. Gilles sagt:
Dieses Waldenservolk hatte hochgebildete Pastoren … versiert in den Sprachen der Heiligen Schrift … und sehr arbeitsam … besonders in ihrem äußersten Einsatz beim Abschreiben der Bücher der Heiligen Schrift zum Gebrauch für ihre Schüler. (Zitiert in: Alexis Muston, Israel of the Alps, 2:448)
V. Bompiani stellt fest:
Leider gingen viele dieser Bücher in den Verfolgungen des 17. Jahrhunderts verloren, und nur die Bücher und antiken Dokumente blieben erhalten, die Pastor Leger an die Bibliotheken von Cambridge und Genf schickte. Die Katholiken achteten darauf, nach jeder Verfolgung so viel wie möglich von der waldensischen Literatur zu vernichten. Viele Barben [Bezeichnung für die waldensischen Wanderprediger] waren gebildete Männer, die sich in den Sprachen und der Wissenschaft der Heiligen Schrift gut auskannten. Ihr Bibelwissen war und ist das Erkennungsmerkmal der Waldenser … Über Jahrhunderte waren sie ohne sichtbare Kirche und gezwungen, in Höhlen und Gruben Gottesdienst zu feiern. Ihr einziges Licht war ihre gründliche Kenntnis des Wortes Gottes. Ihre Schule befand sich in der fast unzugänglichen Einsamkeit einer tiefen Bergschlucht mit Namen Pra del Torno, und ihr Studium, das auch die Sprachen Latein, Romanisch und Italienisch umfasst, war streng und lang andauernd. (A Short History of the Italian Waldenses, 56f.)
Alexis Muston schreibt dazu:
Aberglaube verfinstert die sittlichen und religiösen Sinne und wirft seine Schatten gleichermaßen über alle Bereiche des menschlichen Intellekts, genauso wie andererseits das Licht des Evangeliums … sämtliche Geisteskräfte erhebt, erweitert und läutert. Dafür waren die Waldenser selbst der beste Beweis, denn sie sie waren, was moderne Literatur angeht, führend und die Ersten, die in der Landessprache schrieben. Ihr Sprache zu der Zeit war Romanisch, deren frühe Spuren wir ganz den Waldensern zu verdanken haben. Aus dieser Sprache entstanden Französisch und Italienisch. Die religiösen Gedichte der Waldenser sind bis heute die besten Werke aus jener Periode und darüber hinaus die am hellsten leuchtenden Zeugen für den Glanz des Evangeliums. (Israel of the Alps, 1:36)
Eine Unmenge zuverlässiger und wissenschaftlicher Zeugnisse räumen mit der von Rom geschaffenen und genährten Vorstellung auf, die Waldenser seien gering an Zahl gewesen, kaum organisiert oder gebildet und für ihre Bibel und Kultur von Rom abhängig. Es lassen sich viele Belege dafür anführen, dass mancherorts Adelige Glieder der Waldenser-Gemeinden waren; dass sich unter ihnen die größten Wissenschaftler und Theologen ihrer Zeit fanden; dass viele führende Köpfe in Sprache, Literatur, Musik und Redekunst zu ihnen zählten. Ihre Missionsaktivitäten waren breit gestreut. Ihr gewaltiger Einfluss auf die Reformation kommt gut in dem folgenden Zitat zum Ausdruck:
Scheinbar unbeteiligt an dem großen Ringen, das sich in allen Teilen des sie umgebenden Europas abspielte, übten sie tatsächlich mächtigen Einfluss auf die Welt aus. Ihre Missionare waren überall, verkündigten die schlichten Wahrheiten des Christentums und rüttelten die Herzen der Menschen im tiefsten Inneren auf. In Ungarn, Böhmen, Frankreich, England ebenso wie in Italien wirkten sie mit enormer, aber stiller Kraft. Lollard, der Wyclif in England den Weg bahnte, war ein Missionar aus diesen Tälern … In Deutschland und Böhmen waren die Lehren der Waldenser Vorboten, wenn nicht sogar Wegbereiter der Reformation, und Hus, Hieronymus, Luther und Calvin führten im Grunde lediglich fort, was die waldensischen Missionare begonnen hatten. (McCabe, Cross and Crown, 32; siehe auch Perrin, History of the Ancient Christians, 47f.)
In welchem Ausmaß die Lehren der Waldenser bzw. Albigenser vom Adel angenommen wurden, zeigt folgende Aussage von Philip Mornay:
Viele große und noble Männer schlossen sich ihnen an, namentlich Graf Raimund von Toulouse und Saint-Gilles, Vetter des Königs; Vicomte Raimund-Roger von Béziers und Carcassonne; Lord Peter-Roger von Cabaret; Graf Raimund von Foix, ein naher Verwandter des Königs von Aragon; Gaston VI., Vizegraf von Béarn und Graf von Bigorre; die Herrin Guiraude von Lavaur; der Graf von Carman, Raimund III. von Termes; Americ von Montreuil; Wilhelm von Menerbe und zahllose weiter, sowohl Lords als auch Gentlemen, wahrlich Männer von solchem Rang, dass kein Mensch bei klarem Verstand glauben würde, sie hätten Glück und Ehre ihres Lebens offenkundiger Gefahr ausgesetzt, um lauter so abscheuliche Verbrechen und Irrlehren zu verteidigen, wie ihnen vorgeworfen wurde. (Mysterie of Iniquitie, 354)
Es war nicht unüblich, dass die waldensische Jugend, nachdem sie ihre frühen Schuljahre absolviert hatte, auf den Seminaren in den großen Städten der Lombardei oder an der Universität von Paris weiterstudierte. (Wylie, History of Protestantism, 1:29f.)
Ein Volk der Bibel
Es ist in der Tat erfreulich, dass dieser Zweig der Gemeinde in der Wüste ein Volk der Bibel war. Keine nachfolgende protestantische Kirche begegnete der Heiligen Schrift mit größerer Ehrerbietung als sie. Ihr Gehorsam gegenüber Gottes Buch war der Grund für ihren beispiellosen Erfolg, gleichzeitig aber auch Stein des Anstoßes für ihre Feinde. In der langen Nacht des finsteren Mittelalters waren diese Menschen ein Heiligtum für die Schrift. Sie waren die Bundeslade in Europa, die die Bibel sicher durch die stürmischen Wasser mittelalterlicher Verfolgung trug.
Da die Waldenser schon in den ersten Jahrhunderten des Christentums aufkamen, war es naheliegend, dass ihre erste Bibel in Landessprache auf Lateinisch erschien. Genaue Nachforschungen haben dies bestätigt. Sie besaßen schon früh die wunderschöne lateinische Bibel namens Itala [o. Vetus latina], die von griechischen Manuskripten übersetzt worden war (Nolan, Integrity of the Greek Vulgate, 88f.). Dies wird deutlich, wenn die Itala mit der Liturgie, also dem fixen Gottesdienstablauf verglichen wird, den die Diözese von Milan jahrhundertelang praktizierte und der viele Bibeltexte aus der Itala enthält (Allix, The Ancient Churches of Piedmont, 37). H. J. Warner sagt: „Es lässt sich zeigen, dass die unter den westlichen Ketzern gebräuchliche Bibel auf dem Griechischen basiert und nicht auf der [späteren, lateinischen] Vulgata.“ (Albigensian Heresy, 1:12) Als das Römische Reich unter dem Ansturm der Germanenvölker zusammenbrach, war die schöne Sprache Romanisch, die jahrhundertelang als Brücke zwischen Latein und dem modernen Italienisch diente, zur Muttersprache der Waldenser geworden. Sie vervielfältigten die Heilige Schrift in dieser Sprache für das Volk (Henderson, The Vaudois, 248f.). In jener Zeit wurde die Bibel natürlich von Hand abgeschrieben (in einer bekannten Bibliothek im irischen Dublin durfte ich eine der vier existierenden Exemplare dieser Waldenser-Bibel sehen).
Die Bibel war Grundlage des Gottesdienstes in der Versammlung, und die Kinder wurden angeleitet, große Teile der Heiligen Schrift auswendig zu lernen (Bompiani, A Short History of the Italian Waldenses, 2f.). Zu diesem Zweck bildete man Gemeinschaften von jungen Leuten. Jedem Mitglied dieser frommen Gruppen wurde die Aufgabe anvertraut, sich eine bestimmte Anzahl von Kapiteln sorgfältig einzuprägen, und wenn sich die Gemeinde um ihren Prediger sammelte, konnten diese jungen Leute gemeinsam alle Kapitel des Buches aufsagen, das der Prediger ihnen zugewiesen hatte (Muston, Israel of the Alps, 1:52). Kein Wunder also, dass ihre „Barben“ genannten Pastoren gebildete Leute waren (2:448). Sie waren nicht nur Kenner der Bibel in Latein und ihrer eigenen Sprache, sondern sie beherrschten auch die Originalsprachen Hebräisch und Griechisch und brachten ihrer Jugend bei, als Missionare die Sprachen zu benutzen, die damals bei anderen europäischen Völkern in Gebrauch waren. So wurde der heutigen Generation von diesen Menschen die Bibel der Urgemeinde überliefert, die in der King-James-Übersetzung bis heute dauerhaften Einfluss ausübt.
Die Verfolgung der Waldenser
Schon vor dem 13. Jahrhundert wurden die verfolgt, die man als Waldenser ansah, nur dass sie vielleicht noch anders hießen. Hunderte von Jahren wurden gegen diese verschiedenen Gruppierungen Vernichtungskriege geführt, um jeden Überrest ihrer Schriften auszurotten. Keine List, keine Strapaze, keine Summe war ihren Feinden zu viel, um jeden Bericht der alten Waldenser vom Angesicht der Erde auszulöschen.
Es gab kein Dorf in den Waldensertälern, das nicht seine Märtyrer hatte. Die Waldenser wurden verbrannt, in feuchte und grauenvolle Verliese geworfen, haufenweise samt Müttern, Säuglingen, alten Männern und Frauen in Berggrotten erstickt, in einer Winternacht hungrig und unbekleidet ins Exil über die schneebedeckten Berge geschickt und von Felsen geschleudert. Ihre Häuser und ihr Land wurden ihnen genommen, ihre Kinder gestohlen, um sie mit dem Glauben zu indoktrinieren, den sie verabscheuten. Menschen wie Raubtiere wurden geschickt, um sie ihres Eigentums zu berauben, zu verfolgen und den Garaus zu machen. „Tausende Ketzer, alte Männer, Frauen und Kinder, wurden gehängt, viergeteilt, gerädert oder lebendig verbrannt und ihr Besitz zum Wohl des König und des Heiligen Stuhls beschlagnahmt.“ (Thompson, The Papacy and the Civil Power, 416)
So viele Bücher sind verfasst worden, die diese Umstände und ihre herzzerreißenden Szenen schildern, dass weitere Details an dieser Stelle unnötig sind. Es reicht zu sagen, dass die Waldenser der Wahrheit treu blieben. Als mit Luther, Zwingli, Calvin und anderen die Reformation anbrach, waren die Waldenser bereit, eine Delegation der neuen reformatorischen Bewegung zu empfangen, die an ihrem Glauben interessiert war. Laut W. S. Gilly gab es auch im Jahr 1550 noch so viele von ihnen, dass 800 000 Seelen aus den Alpenprovinzen sich weiterhin weigerten, die Lehren und Praktiken des Papsttums zu akzeptieren. (Gilly, Waldensian Researches, 76)
Wahrheit in vielen Ländern ausgestreut
Gedrängt durch die Macht triumphaler Wahrheit durchwanderten die Waldenser Europa. Wie weit der Wirkungskreis dieses noblen Volkes reichte, erkennt man an den Worten von Samuel Edgar:
So weit die Wurzeln der Waldenser zurückreichten, so zahlreich waren sie. Vignier zeigt anhand anderer Geschichtsschreiber, wie groß ihre Bevölkerungsdichte war. Die Waldenser, so dieser Autor, vermehrten sich auf wunderbare Weise in Frankreich ebenso wie in anderen Ländern des Christentums. Sie hatten viele Förderer in Deutschland, Frankreich, Italien und besonders in der Lombardei, ungeachtet der päpstlichen Anstrengungen, sie auszurotten.
Diese Sekte war laut Wilhelm de Nangis unendlich an Zahl, tauchte laut Rainerus in nahezu jedem Land auf, vermehrte sich laut Sanderus in allen Gebieten, infizierte laut Cäsarius tausend Städte und breitete sich laut Ciaconius wie eine Epidemie fast in der gesamten lateinischen Welt aus. Kaum eine Region blieb von dieser Seuche frei und unberührt, so Gretzer. Die Waldenser, schreibt Popliner, breiteten sich nicht nur über Frankreich aus, sondern erreichten beinahe alle europäischen Küsten und waren in Gallien, Spanien, England und Schottland ebenso anzutreffen wie in Italien, Deutschland, Böhmen, Sachsen, Polen und Litauen. Nach Matthew Paris hatte sich dieses Volk in Bulgarien, Kroatien, Dalmatien, Spanien und Deutschland ausgebreitet, und laut Benedikt lebten sie in erstaunlicher hoher Zahl in Frankreich, England, Piemont, Sizilien, Kalabrien, Polen, Böhmen, Sachsen, Pommern, Deutschland, Livland, Sarmatien, Konstantinopel, Philadelphia und Bulgarien. (Edgar, The Variations of Popery, 51f.)
Manchmal wird behauptet, die Albigenser seien anders gewesen als die Waldenser. In Wahrheit jedoch hatten sie denselben Glauben. Sie wurden nur deshalb Albigenser genannt, weil die französische Stadt Albi ihr Hauptquartier war. Selbst die Dekrete der Päpste verdammten sie als Waldenser. Päpstliche „Legaten führten Krieg gegen sie, weil sie sich zum Glauben der Waldenser bekannten; in den Protokollen und Anklageschriften der mönchischen Inquisitoren gelten sie als Waldenser; das Volk hat sie als Waldenser verfolgt … Viele Geschichtsschreiber nennen sie Waldenser.“ (Perrin, Luther’s Forerunners, Teil 2, S. 1f.)
Wie die Waldenser bzw. Albigenser Mission unter den Bulgaren betrieben, beschreibt Philip Mornay wie folgt:
Matthew Paris sagt weiter, dass sie bis nach Bulgarien, Kroatien und Dalmatien vordrangen und dort so Fuß fassten, dass sie viele Bischöfe auf ihre Seite zogen. Dorthin zog auch ein Bartholomäus von Carcassonne im französischen Narbonne, um den sich alle scharten … und er setzte Bischöfe ein und ordinierte Gemeinden. (Mysterie of Iniquitie, 392)
Protestantismus – herrliche Frucht des Waldensertums
1517 markiert den Beginn der protestantischen Reformation in Europa. Der Protestantismus war weniger eine Abspaltung von der römischen Kirche als vielmehr eine Wiederbelebung der apostolischen Lehren, an denen die Waldenser schon lange festgehalten hatten. Der Protestantismus war eine geistliche Vergrößerung der Gemeinde in der Wüste. Von allen evangelischen Kirchen, die auf die Tage der Apostel zurückgehen, waren die Waldenser die reinste und bedeutendste. James D. McCabe schreibt über die Delegation der ersten Reformatoren, die zu einer Kirchenversammlung der Waldenser abgesandt war:
So verging die Zeit, bis die Reformation über der Welt anbrach. Die Waldenser waren über dieses allgemeine Erwachen des menschlichen Geistes sehr erfreut. In verschiedenen Teilen Europas nahmen sie Gespräche mit den Reformatoren auf und schickten mehrere Barben zu ihnen, um sie zu unterrichten. Die Reformatoren wiederum anerkannten das hohe Alter der waldensischen Riten sowie die Reinheit ihres Glaubens und begegneten der Berggemeinde mit größtem Respekt. Am 12. September 1532 fand in Angrogna eine Vollversammlung statt. Zu den Teilnehmern gehörte eine Reihe Abgesandter der reformierten Kirchen in Frankreich und der Schweiz, darunter der Franzose Guillaume Farel … Er zeigte größtes Interesse an den Bibel-Manuskripten, die die Waldenser von frühester Zeit an aufbewahrt hatten, und auf sein Drängen übersetzten die Waldenser die gesamte Bibel ins Französische und sandten sie der französischen Gemeinde als Geschenk. (McCabe, Cross and Crown, 37)
Die Einfachheit und Lauterkeit ihres Lebens war die Frucht ihrer einfachen und lauteren Lehren. Sie folgten dem Gebot des Apostels Johannes, dass niemand zu Gottes Wort etwas hinzufügen oder davon wegnehmen solle. Diese Einstellung war ein mächtiger Schutz gegen Irrtümer und der göttliche Schlüssel für den Erfolg ihrer missionarischen Unternehmungen. Selbst ihre Feinde räumten ein, dass ihr Glaube der gleiche war wie in der Urgemeinde. Eine Auflistung ihrer Glaubenslehren klingt wie die Predigten von Vigilantius im 4. Jahrhundert oder von Claude im 8. Jahrhundert. Antoine Monastier führt einige der Irrlehren auf, die sie ablehnten:
Die alten Waldenser verwarfen konsequent jede Lehre, die sich auf menschliche Autorität oder Traditionen stützte. Mit heiliger Entrüstung und Grauen verschmähten sie Bilder, Kreuze und Reliquien als Gegenstände der Verehrung, ebenso die Verehrung und Fürsprache der seligen Jungfrau Maria und der Heiligen sowie die ihnen geweihten Feste, an sie gerichtete Gebete und zu ihren Ehren entzündeter Weihrauch und Kerzen. Gleicherweise lehnten sie die Messe ab, Ohrenbeichte, Fegefeuer, letzte Ölung, Gebete für die Toten, heiliges Wasser, Fastentage, Fleischverzicht zu bestimmten Zeiten und Tagen, auferlegte Fasten- und Bußübungen, Prozessionen, Pilgerreisen, das Zölibat des Klerus, Mönchtum usw. usf. Ihre Aussagen zu diesen Punkten sind ebenso klar wie entschieden. (Monastier, A History of the Vaudois Church, 83f.)
Ihr Widersacher Reinerius Saccho musste eingestehen, dass sie die Gebote hielten:
Über ihr Verhalten schreibt Reinerius, dass sie bescheiden waren, schlicht und sich wenig in Geschäfte und Verträge einmischten … Dass die ersten Regeln und Ordnungen, die ihre Kinder als Grundlage lernten, der Dekalog des Gesetzes war, die Zehn Gebote. (Mornay, Mysterie of Iniquitie, 449)
Es war zu erwarten, dass Verfolgungen, Isolation und verzweifelte Umstände viele so weit trieben, dass sie einige Glaubenspunkte aufgaben und zeitweilig ein gewisses Maß an Konformität zu den päpstlichen Praktiken existierte. Als dann zudem die Reformation mit ihrem extremen Freiheitsdrang über Europa rollte, übte dies großen Einfluss auf die alten Gemeinden aus, die so lange um vieler der Lehren willen gelitten hatten, die die Reformatoren sich aneigneten. In ihrer Freude über die Reformation übernahmen sie bedauerlicherweise auch manche Unzulänglichkeit der Reformatoren. Die Reformation war innerhalb ihrer Grenzen ein ungeheurer Einfluss zum Guten, doch wird auch weithin anerkannt, dass sie nicht weit genug ging (Muir, The Arrested Reformation, 3). Andere mussten die Arbeit der Reformationspioniere aufnehmen und die ursprünglichen Glaubenslehren und Praktiken des Christentums in den Gemeinden, die sich aufrichtig an die Vorschriften des Meisters hielten, wiederherstellen.
Hielten die alten Waldenser den Sabbat?
Bevor wir im Einzelnen belegen, dass die alten Waldenser den Sabbat gehalten haben, ist es hilfreich, einen Blick auf den Status der Sonntagsfeier gegen Ende der sogenannten ersten Periode der Kirchengeschichte zu werfen, die mit dem Konzil von Nizäa schloss (325 n. Chr.). Konstantin, der erste christliche Herrscher des Römischen Reiches zu einer Zeit, als Kirche und Staat dabei waren, zu einer Einheit zu verschmelzen, erließ 321 das heute bekannte Sonntagsgesetz. Eine führende römisch-katholische Zeitschrift stellt die Situation sehr deutlich dar:
Kaiser Konstantin machte nach seiner Bekehrung zum Christentum die Beachtung der Sonntagsruhe zur Bürgerpflicht, und die entsprechende Anordnung ist Teil des römischen Gesetzbuches. „Am ehrwürdigen Tag der Sonne sollen alle Richter und Stadtbewohner ruhen und die verschiedenen Gewerbe unterbrochen werden. Wer auf dem Land wohnt, darf sich dagegen frei und guten Gewissens dem Ackerbau widmen, weil es oft geschieht, dass dieser Tag sich am ehesten anbietet, Getreide auszusäen oder Wein zu pflanzen, damit nicht die der göttlichen Großzügigkeit entsprungene Gunst der Stunde ungenutzt bleibt.“ Nun ist kaum vorstellbar, dass Konstantin die Landarbeit ausgenommen hätte, wenn die Kirche schon seit grauer Vorzeit den Christen jene Arbeit untersagt hätte, die sie in späteren Zeiten dann verbot … Daher ist sich die Geistlichkeit auch seit Menschengedenken in der Lehre einig, dass die Unterbrechung von Dienstarbeiten nicht nur ein Punkt der Sittlichkeit ist, der anfällig für Veränderung ist, sondern der auch durch kirchliche Autorität aufgehoben werden kann, wann immer ein vernünftiger Grund dafür vorliegt. (The United States Catholic Magazine, Index zu Bd. 4 1845, 233)
Es gibt zahlreiche Belege für die im obigen Zitat angeführte Tatsache, dass es keinen besonderen Anlass oder ungewöhnlichen Auslöser für die Sonntagsfeier im 4. Jahrhundert gab. Sie entsprach nicht nur der allgemeinen Sitte der Staatskirche, sondern es kann auch gezeigt werden, dass ebenjene Kirche die Macht beanspruchte, die Sonntagsheiligung einzuführen und festzulegen, wie viel an diesem Tag gearbeitet oder nicht gearbeitet werden durfte. Ein anderer Ausschnitt aus derselben Zeitschrift untermauert dies:
Um das Thema verständlicher zu machen, können wir sagen, dass laut zahlreichen studierten Autoren in der Frühzeit der Kirche Arbeit am Sonntag nicht streng verboten war. Ohne Zweifel betrachteten die Christen ihn als Tag der Freude, des Triumphes und der Dankbarkeit gegen Gott, und sie versammelten sich in der Kirche zu Ehren des Allmächtigen, doch gibt es keine Hinweise dafür, dass die Arbeit niederzulegen war – wahrscheinlich, weil eine solche Arbeitspause die Gefahr des Judentums hätte mitbringen können, und vielleicht auch, weil so eine Praxis in Verfolgungszeiten die bekenntlichen Christen sehr schnell bloßgestellt hätte. Man erachtete es als ausreichend, am jüdischen Sabbat einfach nur öffentlich zu beten, zumal der Sabbat von vielen der Getreuen gehalten wurde. (S. 233, 449)
Man sieht also, dass der Sonntag in den ersten christlichen Jahrhunderten kein göttlich eingesetzter Feiertag war, sondern von Menschen festgelegt wurde, und dass an ihm auch körperliche Arbeit geschah. Die nachfolgenden Aussagen von Kirchenhistorikern zeigen, dass außer in Rom in allen Kirchen des Ostens wie des Westens Menschen mutig genug waren, den Sabbat öffentlich zu halten und der wachsenden Masse derer zu widerstehen, die die heidnische Welt der Sonnenanbetung, bei der die Sonntagsfeier eine besondere Rolle spielte, versöhnlich stimmen wollten.
Betrachten wir, im Gegensatz zu den fragwürdigen Anfängen des Sonntags, in derselben Zeit den Siebenten-Tags-Sabbat. Sokrates, ein Kirchengeschichtler des 4. Jahrhunderts, schrieb:
Obgleich nahezu alle Kirchen auf der Welt die heiligen Mysterien jede Woche am Sabbat feiern, haben die Christen in Alexandrien und Rom diese Praxis aufgrund irgendeiner alten Tradition aufgegeben. (Sokrates, Ecclesiastical History, Buch 5, Kap. 22)
Sozomenos, Zeitgenosse von Sokrates und ebenfalls Kirchenhistoriker, erklärt:
In Konstantinopel und fast überall kommt das Volk am Sabbat ebenso wie am ersten Wochentag zusammen – eine Sitte, die in Rom oder Alexandrien keinerlei Beachtung findet. (Sozomen, Ecclesiastical History, Buch 7, Kap. 19)
Die Kernaussage dieser zwei Zitate ist, dass die griechische Christenheit den Sabbat gehalten und dass die westliche Christenheit mit Ausnahme der Stadt Rom und womöglich Alexandrien ebenfalls den Sabbat gehalten hat.
Doch finden sich noch genauere Informationen über die Sabbatheiligung vor dem Jahr 325, wenn wir die Geschichte Spaniens betrachten. Spanien hatte das Glück, sich jahrhundertelang dem Einfluss der Kirche in Rom weitgehend entziehen zu können. Seine Kirchengeschichte teilt sich in zwei Perioden auf: bis 325 und von 325 – 1200. Für die Beschäftigung mit den ersten vier Jahrhunderten dürfen wir uns glücklich schätzen, dass die 81 Kirchenresolutionen oder -kanons vom Konzil im spanischen Elvira (ca. 305) noch existieren.
Die Aufzeichnungen des Konzils von Elvira offenbaren drei Punkte:
- Bis zu dieser Zeit hatte die spanische Kirche noch kein offizielles Glaubensbekenntnis (Credo) und ganz sicher nicht das später in Nizäa beschlossene Credo. (Robinson, Ecclesiastical Researches, 180)
- Die äußerste Maßnahme gegen fehlgehende Gemeindeglieder war der Ausschluss; man berief sich nicht auf staatliche Gesetze.
- Es gab offensichtliche Bemühungen um die Vereinigung von Kirche und Staat, die bis zur Zeit des Konzils allerdings nicht vorangekommen waren.
Was die Frage betrifft, wie die Christen in Spanien zur Sabbatheiligung standen, ist die Antwort eindeutig. Kanon 26 des Konzils von Elvira macht deutlich, dass die spanische Kirche in jener Zeit den Samstag hielt, den siebten Tag:
Zum Fasten an jedem Sabbat: Beschlossen, dass der Irrtum, an jedem Sabbat zu fasten, zu berichtigen ist. (Mansi, Sacrorum Conciliorum Nova et Amplissima Collectio, 2:10)
Dieser Konzilsbeschluss steht in direktem Widerspruch zu der von der Kirche in Rom eingeführten Politik, den Sabbat als Fastentag vorzuschreiben, um ihn zu erniedrigen und den Leuten zu vergällen.
Welche Verbindung besteht zwischen diesen Fakten und den ersten Waldensern? Folgende: In der spanischen Christenheit herrschte jahrhundertelang Einheit, doch als Roms Übergriffe gegen diese urgemeindlichen Christen in Spanien begannen, trennten sich die Menschen in den Pyrenäen von den sich einschleichenden Irrtümern. Robert Robinson schreibt, dass die Leute, die in den Tälern der verschiedenen Länder lebten, als „Talbewohner“ oder „Vallenser“ bekannt wurden. Und ich glaube, dass die Waldenser ihren wahren Ursprung in diesen Bewohnern der Pyrenäen haben (Robinson, Ecclesiastical Researches, 299). Das lateinische Wort für Tal ist vallis. Davon leitet sich das gleichbedeutende valley im Englischen ab und auch die Begriffe für die Waldenser auf Italienisch (Valdesi), Französisch (Vaudois) und Spanisch (Valdenses) (S. 302). Wenn die Gemeinde in Spanien den Sabbat hielt, wie der Beschluss 26 des Konzils in Elvira beweist, und es eine geschichtliche Tatsache ist, dass die Waldenser zu dieser Zeit bereits in Nordspanien existierten, dann ist offenkundig, dass die ersten Waldenser in Spanien den Siebenten-Tags-Sabbat gehalten haben.
Interessant ist auch die Beobachtung, dass es in Nordost-Spanien in der Nähe von Barcelona eine Stadt namens Sabadell gibt, in einer Gegend, die aller Wahrscheinlichkeit nach ursprünglich von einem Volk bewohnt war, das Valdenses und Sabbatati genannt wurde. (S. 310) Könnte der Name Sabadell [engl. dell = „Tal, Senke“] nicht von dem Ausdruck „Tal der Sabbathalter“ herrühren? Es lässt sich außerdem zeigen, dass der Name Sabbatati in dem Umstand begründet ist, dass sie den Sabbat hielten. Im Umkreis von Sabadell finden sich noch heute archäologische Überreste dieser alten Völker.
Als viele Jahrhunderte später das Papsttum in Spanien zur Herrschaft gelangte und Verfolgung diese Talbewohner bedrängte, wanderten sie hinüber nach Norditalien, wo die Alpen-Waldenser sie willkommen hießen und ihnen ein Zuhause gaben. (Robinson, Ecclesiastical Researches, 319-321)
Die Waldenser – ein Volk der Bibel
Je mächtiger die römische Kirche wurde, desto stärker betonte sie den Sonntag. Auf der anderen Seite hielten die Gemeinden, die das apostolische Christentum fortführten, so lange wie möglich an dem Tag fest, den Jesus Christus und die Apostel geheiligt hatten.
Die Waldenser waren so durch und durch ein Bibelvolk, dass sie den Siebenten-Tags-Sabbat jahrhundertelang als den heiligen Ruhetag beibehielten. Zwei Jahrhunderte, nachdem Papst Gregor I. 602 die Gemeinschaft der Sabbathalter in der Stadt Rom mit dem Bann belegt hatte, fand im norditalienischen Friaul ein Kirchenkonzil statt (ca. 791), das das Ausmaß der Sabbatheiligung auf dieser Halbinsel offenbar machte. Friaul war eines von drei großen Herzogtümern, in die das Reich der Lombarden anfangs organisiert worden war. Dieses Konzil, das allen Christen die Einhaltung des Herrentages gebot, bezeugte die weitreichende Beachtung des Samstages wie folgt:
Zudem, wenn wir von jenem Sabbat sprechen, den die Juden halten, den letzten Tag der Woche, den auch alle Landarbeiter halten … (Mansi, Sacrorum Conciliorum Nova et Amplissima Collectio, 13:852)
Als es rund 100 Jahre später (865 – 867) zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen der Kirche Roms und der griechischen Kirche über die neubekehrten Bulgaren und ihre Sabbatheiligung kam, wurde die Frage erneut diskutiert, wie in der Antwort von Papst Nikolaus I. auf die 106 vom bulgarischen König an ihn gerichteten Fragen zu erkennen ist. (Mansi, Sacrorum Conciliorum Nova et Amplissima Collectio, 15:406)
Peter Allix schreibt über einen Verfasser, der die Lehren der Waldenser erörtert:
Er stellt es auch als eine Position von ihnen dar, das Gesetz Moses müsse buchstäblich eingehalten werden und man müsse den Sabbat, Beschneidung und andere gesetzliche Riten praktizieren. (Allix, The Ancient Churches of Piedmont, 154)
Der Vorwurf, sie hätten die Beschneidung durchgeführt, ist allerdings mehrfach widerlegt worden. David Benedict schreibt über die Passagini, die als ein Zweig der Waldenser angesehen werden:
Berichte, sie hätten Beschneidung praktiziert, sind ohne Zweifel eine von ihren Feinden erdachte Verleumdung und wahrscheinlich auch so in Umlauf gekommen. Weil sie den siebten Tag hielten, wurden sie abwertend Juden genannt, wie das Sabbathaltern auch heutzutage häufig widerfährt, und wenn sie Juden waren, beschnitten sie natürlich auch ihre Anhänger oder sollten es zumindest. Dies war vermutlich die Logik ihrer Feinde. Dass sie dieses blutige Ritual aber tatsächlich durchgeführt haben, ist ganz und gar unwahrscheinlich. (Benedict, A General History of the Baptist Denomination, 2:414)
Adam Blair sagt:
Unter den Dokumenten, die uns durch dieselben Leute zur Verfügung stehen, befindet sich eine Erläuterung der Zehn Gebote, die von Boyer auf das Jahr 1120 datiert wird. Darin enthalten ist ein Leitfaden christlicher Sittlichkeit. Es wird gefordert, Gott über alles zu lieben, und Glaube an den Einfluss der Planeten sowie Hilfesuche bei Zauberern wird verurteilt. Das Übel der Anbetung Gottes durch Bilder und Götzen wird hervorgehoben. Ein feierlicher Schwur zur Bestätigung bei Unsicherheit wird zugestanden, Fluchen jedoch verboten. Zur Sabbatfeier, indem man von weltlicher Arbeit und von Sünde ablässt, Gutes tut und durch Gebet und Anhören des Wortes innere Erbauung sucht, wird angehalten. (Blair, History of the Waldenses, 1:220)
Ungeachtet des Wütens der Unterdrücker war die schützende Hand Christi über seinem Gebote haltenden Volk. Ihre Zahl wuchs. Doch erst im 12. Jahrhundert bekam der Bischof von Rom es wegen des Wachstums der Waldenser mit der Angst zu tun. Die sogenannten Häretiker in Südfrankreich waren in Wirklichkeit der westliche Teil der Waldenser, die gewöhnlich Albigenser genannt wurden, weil so viele von ihnen in der großen Stadt Albi wohnten. Die Provinz, in der Albi die Aufmerksamkeit auf sich zog, war mit dem König von Frankreich verbündet, gehörte aber formal nicht zu seinem Reich. Das Papsttum wiederum stand in einer Allianz mit den französischen Königen. 1167 wurde in der Gegend von Toulouse eine Kirchenversammlung von „Ketzern“ abgehalten, auf der Katharer aus der Lombardei, Italien und Frankreich anwesend waren. Niketas, Führer der Paulikianer und Bischof von Konstantinopel, nahm auf Einladung teil und hatte den Vorsitz (Warner, The Albigensian Heresy, 1:15). Doch die Paulikianer, wie Adeney andeutet, achteten nicht den Sonntag, sondern heiligten den Samstag (Adeney, The Greek and Eastern Churches, 218).
Um den neuen wirtschaftlichen Bedingungen zu begegnen, in denen sich die römische Kirche wiederfand, und die Bedrohung der Ketzerei zu bekämpfen, wurden zwei Mönchsorden gegründet – Franziskaner und Dominikaner. Ein Autor schreibt dazu:
Es ist hervorgehoben worden, dass die Orden der Franziskaner und Dominikaner ins Leben gerufen wurden, um die Waldenser zum Schweigen zu bringen. (Gilly, Waldensian Researches, S. 98, Fußn. 2)
Mit Blick auf die Verfolgung der Waldenser wegen ihrer Sabbatheiligung findet sich Folgendes in einem Erlass von Alfonso, der etwa 1194 veröffentlicht worden ist:
Alfonso, König von Aragon etc., an alle Erzbischöfe, Bischöfe und alle Übrigen: … Wir gebieten Euch in Nachahmung unserer Vorfahren und in Gehorsam gegen die Ordnungen der Kirche, dass Ketzer, nämlich Waldenser, Insabbati und jene, die sich die Armen von Lyon nennen, sowie alle sonstigen Häretiker vom Angesicht Gottes und allen Katholiken vertrieben und angewiesen werden, unser Königreich zu verlassen. (Maxima Bibliotheca Veterum Patrum, 25:190)
Der Name „Insabbati“ in diesem Zitat für diejenigen, die aus Spanien ausgewiesen werden sollten, führt zu der Frage, wie es im mittelalterlichen Spanien um Sabbathalter bestellt war. Dass die Insabbatati Waldenser waren, bestätigt die Aussage von Bernard Gui, dem bekannten Architekten der Inquisition, dass „Ensavates [Insabbatati] der Name für die Waldenser war“ (Gui, Manuel d’ Inquisiteur, 2:158). Es gibt zahllose Belege dafür, dass diese Sabbathalter gleicherweise Waldenser und Insabbatati genannt wurden (Du Cange, Glossarium Mediae et Enfimae Latinitatis, Art. „Sabatati“).
Zwei interessante Fakten werfen Licht auf den Begriff „Insabbati“ in dem oben erwähnten Erlass von König Alfonso. Erstens existierte eine gotisch-spanische Liturgie (Geddes, Miscellaneous Tracts, 2:26). Sie unterschied sich von der römischen und wurde erst 1088 abgeschafft (Whishaw, Arabic Spain, 19f.). Das folgende Zitat von Michael Geddes erklärt, inwiefern dies von Belang ist:
Die alte gotisch-katholische Kirche kannte keine päpstliche Vorherrschaft, und dass die päpstlichen Lehren über Transsubstantiation, Fegefeuer, Gebeten zu Engeln und Heiligen, Bilderverehrung, Ohrenbeichte usw. ihr so gut wie unbekannt waren, lässt sich meines Erachtens leicht aus ihren historischen Schriftstücken beweisen. (Geddes, Miscellaneous Tracts, 2:71)
Der Autor führt dann in diesem Absatz weiter aus, dass der Glaube der alten spanisch-gotischen Kirche derselbe war wie in der alten britischen Kirche. Nun haben wir bereits in vorigen Kapiteln dieses Buches Truth Triumphant dargestellt, dass die alte britische oder keltische Kirche gemäß dem vierten Gebot den siebten Tag als Sabbat gehalten hat. Damit haben wir ein weiteres Glied in der Beweiskette, dass der Ausdruck „Insabbatati“ auf die Heiligung des siebten Tages als Sabbat zurückgeht.
Der zweite interessante Umstand ist besonders bemerkenswert. Der Erlass des Königs von Aragon stammt aus dem Jahr 1194. Dies zeigt, wie lange die spanischen Waldenser im Mittelalter noch den Sabbat gehalten haben. Dass päpstliche Autoren in Deutschland, Italien und Frankreich etwa zur gleichen Zeit wie dieser Erlass gegen die Sabbatati bzw. Insabbatati schrieben, macht deutlich, wie zahlreich aus verbreitet dieses Volk war. Die Akten der Inquisition enthalten Unmengen von Bezügen auf „Ketzer“ unter dem Namen Sabbatati oder Insabbatati. Über ihre Glaubenslehren erfahren wir allerdings kaum etwas, wie Robert Robinson schreibt:
Es war ein Grundsatz der Katholiken, auf ihren Synoden keine Irrlehren zu erwähnen, um nicht womöglich Neugier über deren Inhalte zu wecken. Den Predigern war es verboten, selbst einwandfreie Gedanken dieser Autoren wiederzugeben, damit die Leute nicht noch positiv von ihnen dächten. (Robinson, Ecclesiastical Researches, 271f.)
Die Begriffe Sabbati, Sabbata, Insabbatati kommen von der Heiligung des siebten Tages als Sabbat. Der Historiker Goldast äußert über die sogenannten Insabbatati:
Man nannte sie Insabbatti, nicht weil sie beschnitten waren, sondern weil sie gemäß jüdischem Gesetz den Sabbat hielten. (Jacob Gretzer, Opera Omnia, Bd. 12, Teil 2, S. 11, 55)
Kurz nach dem Erlass von König Alfonso gegen die Insabbatati kam in Spanien ein glühender Schreiber für das Papsttum auf, der es zu trauriger Berühmtheit bringen sollte. Es handelte sich um Lucas aus der Stadt Tuy, allgemein bekannt als Lucas de Tuy. Seine Schriften geben Einblick, wie stark und zahlreich die Insabbatati in Spanien um 1260 waren. Lucas starb rund 75 Jahre vor dem Auftreten Wyclifs, des „Morgensterns der Reformation“. Hier eine ausgezeichnete Zusammenfassung von Lucas’ Schrifttum:
Wer sich die Mühe macht, das Werk zu lesen, und sieht, wie hingebungsvoll Lucas sich mit den vorgeblichen Meinungen des spanischen Heiligen Isidor beschäftigt, wie er beklagt, dass die spanische Leidenschaft abkühlen statt sich mit Waffengewalt auf die Feinde des katholischen Glaubens stürzen könnte, wie er gegen die heimlichen Zusammenkünfte der Ketzer wettert, die öffentlichen Religionsgespräche von Häretikern, ihre Profanisierung der Pfarrkirchen, die Ankunft Arnalds in Spanien und die Vorgänge in León, wird erkennen, das Lucas’ Gedanken nicht um albigensische oder ausländische Abweichler kreisten, sondern um spanische. (Gilly, Waldensian Researches, 102f.)
Folgendes Zeugnis über den Sabbat legte eine waldensische Gefangene vor der Inquisition ab (wahrscheinlich im deutschen Freiburg):
Barbara von Thies bezeugte …, sie habe mit der von den Priestern am letzten Michaelistag abgenommenen Beichte nichts zu schaffen. Zur Rolle der Jungfrau Maria habe sie nichts zu sagen. Über den Sonntag und Feiertage sagt sie: „Gott der Herr hat uns geboten, am siebten Tag zu ruhen, und dabei belasse ich es; mit Gottes Hilfe und seiner Gnade stehen wir alle lieber zum Glauben und sterben dafür, denn es ist der richtige Glaube und der richtige Weg in Christus.“ (Der Blutige Schau-Platz oder Martyrer Spiegel der Tauffs-Gesinnten, Buch 2, S. 30f.)
Unter dem reichlichen Segen Christi brachten diese seine verfolgten Kinder es fertig, in eine beträchtliche Anzahl von Ländern vorzudringen. Mosheim stellt fest, dass es schon vor der Zeit Luthers in fast jedem Land Europas – vor allem in Böhmen, Mähren, der Schweiz und Deutschland – zahlreiche Menschen gab, deren Denken im Verborgenen tief in den Grundsätzen der Waldenser, Wyclifiten und Hussiten verwurzelt war (Institutes of Ecclesiastical History, Buch 4, 16. Jh., Abschn. 3, Teil 2, Kap. 3, Abs. 2).
In diesen Gruppen wurde der Sabbat des vierten Gebots in Gehorsam gegenüber dem Sittengesetz gehalten. Wie hoch angesehen Sabbathalter unter Adelsherren und Fürsten waren, wird aus folgendem Zitat von Lamy ersichtlich:
Alle Ratgeber und großen Adelsherren zu Hofe, die den Lehren aus Wittenberg, Augsburg, Genf und Zürich bereits zugestimmt hatten – wie Petrowitz, Jasper Cornis, Christopher Famigall und John Gerendi, Führer der Sabbatarier, eines Volkes, das nicht den Sonntag, sondern Samstag hält, und dessen Anhänger sich Genoldisten nennen –, alle diese und andere stellten sich hinter die Position von Blandrat. (Lamy, History of Socianism, 60)
Es gibt eine Fülle von Zeugnissen, dass die Lehren der Apostel in einer lückenlosen Kette bis in die Zeit der Reformation und darüber hinaus überliefert worden sind, einschließlich der Glaubensüberzeugungen der Christen in Norditalien, der Albigenser, Wyclifiten und Hussiten. Der bekannte römisch-katholische Historiker André Favyn, der auf Französisch schrieb, verfolgt Luthers Lehren über Vigilantius bis Jovinian zurück und meint, Vigilantius habe seine Lehren „den Albigensern, die sonst Waldenser genannt werden“, weitergegeben, die sie wiederum den Wyclifiten sowie den Nachfolgern von Hus und Hieronymus in Böhmen übermittelten. (Favyn, Histoire de Navarre, 713-5)
Inspiriert durch den Erlöser, waren die Waldenser unablässig als Missionare unterwegs. Aus diesem Grund wurden sie mancherorts mitunter Passagini genannt. So schreibt Gilly:
Passagii oder Passagini, also die Bewohner der Pässe (vom lateinischen Wort passagium), ist eine der Bezeichnungen für die Waldenser bei antiken Autoren. (Waldensian Researches, S. 61, Note 2)
Ein großer Teil der Waldenser, ob sie nun so oder anders benannt wurden, glaubte an die Verbindlichkeit des vierten Gebotes für die Menschheit. Dies führte zu so vielsagenden Betitelungen wie Insabbati oder Insabbatati. Bauern wie Städter, die auf dem Weg zu ihrer Arbeit am Samstag auf christliche Gruppen trafen, die sich zum Gottesdienst versammelt hatten, waren von diesem Anblick so beeindruckt, dass sie sie Insabbatati nannten. Der Begriff „Sabbat“ wurde fast nie auf den Sonntag angewendet. Über Konstantins Sonntagsgesetz von 321 bemerkt Robert Cox:
Keine Beweise sind dafür vorgebracht worden, dass vor der Herausgabe dieses Gesetzes irgendwo in der Christenheit der Herrentag als Sabbat gehalten worden ist. (Cox, The Literature of the Sabbath Question, 1:257)
Dass die Waldenser dem Samstag als Sabbat verpflichtet waren, zeigt folgende Aussage:
Sie vertreten, dass keiner der Riten, die die Kirche seit Christi Himmelfahrt eingeführt hat, befolgt werden sollte und von Bedeutung sei; die Feste, Fastenzeiten, Orden, Segen, Kirchenämter und dergleichen lehnen sie vollständig ab. (Lewis, A Critical History of Sabbath and Sunday, S. 211f.)
Dies bezieht sich auf die Waldenser in Böhmen. Erasmus gibt an, dass diese Böhmen noch bis etwa 1500 nicht nur gewissenhaft den siebten Tag hielten, sondern auch Sabbatarier genannt wurden. (Cox, ebenda)
Mit Blick auf die Geschichtsquellen und eindeutigen historischen Belege, dass die Waldenser unter verschiedenen Namen und Bezeichnungen den Sabbat hielten, und auch angesichts der Tatsache, dass sie Sabbatati, Insabbatati und ähnlich genannt wurden, besteht kein Zweifel, dass es eine der grundlegenden Lehren und Praktiken des Großteils der Waldenser gewesen ist, den siebten Tag als den heiligen Tag des vierten Gebots zu beachten.
Die Waldenser und die Reformation
Obschon die reformierten Kirchen Europa ein neues Gesicht gaben, gelang es ihnen nicht, bestimmte lateinische Bräuche abzuschütteln, die ihnen später zu schaffen machten. In seiner Abschiedsrede vor den Pilgern, die von Hollands Küste zur Suche nach einer neuen Welt aufbrachen, sagte Pastor Robinson, Kirchen, die gerade erst eine so dichte antichristliche Finsternis verlassen hätten (er meinte die Reformierten), könnten unmöglich schon alles Licht aufgenommen haben.
Wäre es den Gemeinden von Piemont in ihrer Freude und den überschäumenden Gefühlen der Bruderschaft für die neue Armee von Protestanten gelungen, an ihrer althergebrachten Reinheit festzuhalten, müsste die Frage nach der Übereinstimmung der heutigen Waldenser mit den Berichten über ihre ursprünglichen Brüder aus dem Mittelalter vielleicht gar nicht gestellt werden. Die Antwort liegt in den Ereignissen von 1630.
Die Nachkommen der Waldenser, die in den unzugänglichen Tälern von Piemont lebten, schlossen sich aufgrund der örtlichen Nähe zu Frankreich und Genf deren Lehren und Gottesdienst an. Trotzdem behielten sie bis ins Jahr 1630 nicht wenige ihrer alten Lebensregeln bei. Doch in diesem Jahr fiel der größte Teil der Waldenser der Pest zum Opfer, und ihre neuen Lehrer, die aus Frankreich zu ihnen kamen, ordneten alle ihre Angelegenheiten nach dem Vorbild der französisch-reformierten Kirche. (Mosheim, Institutes of Ecclesiastical History, Buch 4, 16. Jh., Abschn. 3, Teil 2, Kap. 2, Abs. 25)
Obwohl in den Hauptlehren Einigkeit mit den Kirchen der Reformation herrschte, lösten die Waldenser ihre eigene Organisation nicht auf. Die reformierten Kirchen gewannen so sehr an Macht, dass sie in Ländern wie Deutschland und England frei von römischer Verfolgung waren. Auf die Waldenser, die noch immer der Herrschaft Italiens unterstanden, traf das allerdings nicht zu.
Nach einer Kirchenversammlung, an der auch eine Delegation von Reformierten teilnahm, gelobten sie feierlich, mutiger als je zuvor öffentlich Zeugnis abzulegen. Am 21. Januar 1561, einen Tag, nachdem die Abgesandten ihrer Kirchen sich auf den schneebedeckten Gipfeln der Alpen ewige Freundschaft geschworen hatten, wurde ein Dekret ihrer Feinde veröffentlicht, das allen Waldensern den Besuch der Messe vorschrieb. Nach kriegerischen Vorstößen, sie auf die Galeeren, den Scheiterhaufen, in den Kerker und an den Galgen zu schleppen, zeigten sie solchen Widerstand und solche Standhaftigkeit, dass der Herzog von Savoyen unter dem Einfluss seiner protestantischen Frau ihnen Amnestie gewährte.
Die Verfolgung wütete von 1655 – 1689 auf schrecklichste Weise. Alles lief auf die Auslöschung dieses evangelischen Volkes hinaus. Grauenhafte Massaker, unglaubliche Akte der Niederträchtigkeit, das Verbrennen von Dörfern, Kinder, die ihren Müttern entrissen und gegen die Felsen geschleudert wurden, Scharen von Flüchtlingen, die über die Grenzen getrieben wurden – solche abscheulichen Geschehnisse folgten eines nach dem anderen. Über die Verfolgungen dieser Zeit schreibt ein Kenner:
1655 flammte die Verfolgung wieder auf, und hätten die ganzen protestantischen Mächte Europas nicht eingegriffen, wären die Waldenser vollständig ausgerottet worden. (M’Clintock / Strong, Cyclopedia, Art. „Waldenses“)
1689 führte ihr Prediger und Held Henri Arnaud 900 ihrer Krieger von der Schweiz in das Grenzdorf Balsille. Den ganzen Winter setzten sie sich gegen eine 10000 Mann starke Armee zur Wehr. Als schon alles verloren schien, schloss sich der Herzog von Savoyen dem protestantischen Prinzen von Holland an, und sie bekamen die Erlaubnis, in Frieden in ihre Täler zurückzukehren. Dieses großartige Heldenstück wird „die herrliche Rückkehr“ genannt. Als die 1260-Jahr-Periode zu Ende gegangen war, hatte dieser treue Zweig der Gemeinde in der Wüste schließlich religiöse Freiheit erlangt.
Ein weltweites Erwachen für biblische Prophetie
Der Protestantismus war weitgehend die üppige Frucht der Gemeinde in der Wüste. Er verwarf die Entwicklungstheorie, eine wichtige Kernlehre Roms. Durch diese Theorie beansprucht das Papsttum es als ureigenes Recht, die Lehren der Apostel weiterzuentwickeln. Diese dogmatische Weiterentwicklung war es, die Rom in Widerspruch zur Bibel brachte. Kardinal Gibbons schreibt:
Die Schrift allein enthält nicht alle Wahrheiten, die ein Christ glauben muss. (Gibbons, The Faith of Our Fathers, S. 111, 63. Ausg.; S. 86, 76. Ausg.)
Der Protestantismus war eine Rückkehr zur Bibel. Er betonte eine immer gewissenhaftere und einsichtigere Anwendung der Wahrheiten der Schrift. Der Protestantismus wuchs gewaltig, und als er das Studium der Bibel immer weiter vertiefte, kam es im 18. Jahrhundert zu einem Erwachen für die dringende Notwendigkeit, die Warnungen in der biblischen Prophetie ernst zu nehmen. Die großen prophetischen Zeitspannen wurden intensiv erforscht. So rief John Wesley 1756 über das Tier mit den zwei Hörnern aus Offenbarung 13 aus:
Es ist noch nicht da, doch lange dauern kann es nicht mehr, denn es muss am Ende der 42 Monate des ersten Tieres erscheinen. (Notes on Revelation, 14)
Die 1260-Jahr-Periode war nun in aller Munde. Dies führte zu einer genaueren Beschäftigung mit den 70 Wochen aus Daniel 9, wo das Datum der Kreuzigung Christi ein entscheidender Faktor war. Die Zeit für die Gemeinde war gekommen, die Wüste zu verlassen. Und so wandte man sich unter Gebet und dem nötigen Hintergrundwissen der längeren 2300-Jahr-Periode aus Daniel 8 zu. Bibelgesellschaften wurden ins Leben gerufen und Missionsverbände gebildet. Missionare gingen aus in alle Lande und verkündeten, „die Zeit des Endes“ sei gekommen. Den Jahrhunderten der Treue in der Geschichte der Gemeinde in der Wüste folgte das Zeitalter der Gemeinde der Übrigen, die „welche die Gebote Gottes und den Glauben Jesu bewahren“ (Off 14,12 ELB).
Quelle: Truth Triumphant, Kap. 16. Leicht gekürzt / bearbeitet.